1.
Bislang nahmen die Werke der angewandten Kunst in der Bewertung der Rechtsprechung
eine Sonderstellung ein.
Werke der angewandten Kunst unterscheiden sich von Werken der bildenden Kunst primär durch ihren Gebrauchszweck. Bedarfsgegenstände
wie Gebrauchs- und Werbegrafiken zählen ebenso zu Werken der angewandten Kunst, wie Möbel, Leuchten oder Modedesigns.
Während bei der bildenden Kunst, wie z.B. Literatur und Musik, im Bezug auf die Gestaltungshöhe seit Langem
die
"kleine Münze"
gilt, stellte die Rechtsprechung bei der angewandten Kunst im Hinblick auf die notwendige Schöpfungshöhe
wesentlich höhere Anforderungen.
Demzufolge war die "kleine Münze" bei der angewandten Kunst nicht geschützt und die große Masse der Gebrauchskunst vom Urheberrecht nicht erfasst.
Begründet wurde dies damit, dass das Geschmacksmusterrecht für solche Gestaltungen einen Sonderrechtsschutz bietet, der dem Urheberrecht wesensgleich sei.
2.
Diese Rechtsprechung hat der BGH nun ausdrücklich aufgegeben.
Die Klägerin war eine selbstständige Spielwarendesignerin, die den bekannten "Geburtstagszug", ein Miniaturzug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Ziffern
aufstecken lassen, für ein Honorar von seinerzeit 400 DM entworfen hatte. Wegen des großen Verkaufserfolgs machte die Klägerin einen urheberrechtlichen Anspruch
auf Zahlung einer angemessenen Vergütung geltend.
Mit seiner Entscheidung stellt der BGH jetzt klar, dass an die urheberrechtliche Schutzfähigkeit
der angewandten Kunst keine höheren oder andere Anforderungen zu stellen sind, als bei Werken der bildenden
Kunst und gab der Klägerin recht.
Der BGH begründet dies in seiner
Pressemitteilung
mit der im Jahre 2004 in Kraft getretenen Reform des
Geschmacksmusterrechts, durch das ein eigenständiges gewerbliches Schutzrecht geschaffen und der enge Bezug
zum Urheberrecht beseitigt worden sei:
Der Schutz als Geschmacksmuster setze nicht mehr eine bestimmte Gestaltungshöhe, sondern die
Unterschiedlichkeit des Musters voraus. Da zudem Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz sich nicht
ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können, rechtfertige der Umstand, dass eine Gestaltung dem
Geschmacksmusterschutz zugänglich ist, es nicht, ihr den Urheberrechtsschutz zu versagen oder von besonderen
Voraussetzungen abhängig zu machen.
Die Klägerin hat deshalb nach Ansicht des BGH aus Gründen des Vertrauensschutzes nur für den Zeitraum keinen
Vergütungsanspruch, in dem die Beklagte die Entwürfe vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes am 1. Juni 2004 verwertete.
3.
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis und wird dazu führen,
dass ein großer Teil der Gebrauchskunst - insbesondere die Arbeiten von Designern und Grafikern -
jetzt urheberrechtlichen Schutz genießt.
Zudem werden Inhaber von Geschmacksmusterrechten sich künftig leichter erfolgreich zusätzlich auf urheberrechtliche
Ansprüche stützen können, wobei die unterschiedliche Reichweite dieser Rechtspositionen zum Tragen kommt:
Während Geschmacksmusterschutz die "Neuheit" der Gestaltung voraussetzt, ist dies im Urheberrecht nicht zwingend
der Fall.
Außerdem hängt der Urheberschutz, im Gegensatz zum Geschmacksmusterschutz, nicht von einer
Registrierung oder sonstigen förmlichen Voraussetzung ab. Dieser entsteht vielmehr schon mit Schöpfung des Werks.
Ähnliches gilt zwar auch für das nicht eingetragene
Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Dessen Schutz beginnt mit Veröffentlichung der Gestaltung. Allerdings ist die Schutzdauer hier auf
lediglich drei Jahre beschränkt, während das Urheberrecht erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt.
Umgekehrt bedeut dies allerdings auch, dass mit Markeinführung von z.B. Designerprodukten das Risiko, Rechte Dritter
zu verletzten, wesentlich steigt.